Aktien mit hohen Dividen­den sind wie Anlei­hen mit kurzer Duration

Zuletzt aktualisiert am: 06.09.2022

Lesedauer: 4 Minuten

Inhalts­ver­zeich­nis

» Veröf­fent­licht am 16.05.2022
» Autor: Jörn Kränicke

Tilmann Galler, globa­ler Kapital­markt­stra­te­ge bei J.P. Morgan A.M. in Frank­furt, spricht im Inter­view mit TiAM FundRe­se­arch über Infla­ti­on, Rohstoff­prei­se und warum China vor einer Erholung steht.

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TiAM Fundre­se­arch: Herr Galler, die Märkte sind derzeit sehr volatil. Was sind die Haupt­grün­de dafür?

Tilmann Galler: Nicht nur die abschwä­chen­de Konjunk­tur ist derzeit ein Problem. Vielmehr ist die Infla­ti­on zur größten Gefahr gewor­den. Sie ist wie ein Brenn­glas, das alle derzei­ti­gen Proble­me bündelt. Aller­dings ist das Infla­ti­ons­ge­sche­hen nicht überall auf der Welt gleich. Im Gegen­satz zu den USA oder auch Europa ist die Infla­ti­on in asiati­schen Ländern wie China oder Japan nicht so ausge­prägt. Aufgrund des Ukrai­ne-Kriegs hat Europa den Hochpunkt der Infla­ti­on mögli­cher­wei­se noch nicht erreicht. Und in den USA droht aufgrund eines engen Arbeits­mark­tes mit vielen offenen Stellen eine Lohn-Preisspirale.

Die Infla­ti­on ist also gekom­men, um zu bleiben?

Dafür spricht einiges. Dieser neue Zyklus, der mit der Pande­mie begon­nen hat, wird uns mit höheren Infla­ti­ons­ra­ten als zuletzt gewohnt, beglei­ten. Viele Gewiss­hei­ten werden sich verän­dern. Es heißt jetzt auch auf der Zinssei­te nicht mehr „lower for longer“, sondern „lower no longer“. Das hat auch dazu geführt, dass aktuell die Diver­si­fi­ka­ti­ons­ef­fek­te zwischen Aktien und Anlei­hen nicht mehr vorhan­den sind. Deutlich gemacht haben dies jüngst die Quartals­zah­len der Schwei­zer Noten­bank. Sie hat mehr als 30 Milli­ar­den Franken Verlust gemacht – dass kam sowohl von der Aktien- als auch der Rentenseite.

Warum bleibt die Infla­ti­on hoch?

Die Infla­ti­on ist in diesem Zyklus struk­tu­rel­ler. Die Fiskal­po­li­tik vieler großer Staaten war in den vergan­ge­nen Jahren willens, im Niedrig­zins­um­feld viel Geld aufzu­neh­men, um die Folgen der Pande­mie zu überbrü­cken. In einem Umfang den man sonst nur in Kriegs­zei­ten gesehen hat. Inter­es­sant ist jetzt aber auch zu beobach­ten, dass die Staaten nun viel zielge­rich­te­ter inves­tie­ren. So hat die USA ein großes Infra­struk­tur­pa­ket aufge­legt, obwohl die Erholung der Wirtschaft bereits in vollem Gange war. Das heißt, die Fiskal­po­li­tik hat als klassi­scher Stabi­li­sa­tor der Volks­wirt­schaft erst einmal ausge­dient. Nun treten auch die Staaten verstärkt als zusätz­li­cher Nachfra­ger auf. Dies trägt ebenfalls zur Infla­ti­on bei, da das Angebot nicht in dem Ausmaß erwei­tert werden kann, wie die Nachfra­ge steigt. In dieses Muster passt auch, dass nun aufgrund der hohen Energie­prei­se weite­re Hilfs­pa­ke­te geschnürt werden. Etwa durch die Decke­lung der Benzin­prei­se, Steuer­sen­kun­gen oder Trans­fer­zah­lun­gen für die Haushal­te. Auch das führt zu höherer Nachfra­ge. Die aktive­re Fiskal­po­li­tik führt zu einer struk­tu­rell höheren Infla­ti­on, die über die nächs­ten Monate hinaus­ge­hen dürfte.

Also kann man auch nicht mit einer Entspan­nung am Ölmarkt rechnen?

Nein, vorerst nicht! Denn der Ölpreis­rück­gang von in der Spitze 130 Dollar in Richtung 100 Dollar lag unter anderem daran, dass die strate­gi­schen Ölreser­ven aufge­löst wurden. Solan­ge wir keine Trend­wen­de bei den niedri­gen Reser­ven sehen, gehen wir daher eher von anhal­tend hohen oder gar steigen­den Notie­run­gen aus. Zumal Russland auch rund elf Prozent des weltwei­ten Rohöls fördert. Dies können die OPEC-Länder aktuell beim einem Öl-Boykott kaum ersetzen.

Also düste­re Zeiten für Verbraucher?

Durch die Bank gestie­ge­ne Preise belas­ten die Stimmung der Verbrau­cher. Das merkt beispiels­wei­se auch jeder, der in jüngs­ter Zeit einen Urlaub in den USA gebucht hat. Die Preise für Mietwa­gen und Hotels haben sich inner­halb eines Jahres massiv verteu­ert. Aller­dings sind nach der Pande­mie die Erspar­nis­se hoch und gestie­ge­ne Aktien- und Immobi­li­en­prei­se tun ihr übriges. Daher akzep­tie­ren viele dies und man spricht schon vom Revan­che-Konsum nach den Einschrän­kun­gen durch die Pandemie.

Welche Rolle spielt China bei den aktuel­len Problemen?

In China gibt es viele Proble­me, die zur Verstim­mung geführt haben. Die Zero-Covid-Strate­gie hat nicht zuletzt die Liefer­ket­ten­pro­ble­me verschärft und das Wachs­tum verlang­samt. Die ausufern­de Regulie­rung der Unter­neh­men und die Proble­me am Immobi­li­en­markt waren weite­re Brems­klöt­ze für das Wachs­tum und haben die Aktien­märk­te belas­tet. Die regio­na­len Lockdowns bleiben nach unserer Einschät­zung solan­ge ein Mittel die Pande­mie zu bekämp­fen, bis die vulner­ablen Gruppen einen höheren Impfschutz haben. Bislang haben nur die jünge­ren einen ausrei­chen­den Impfschutz. Es wird also noch einige Monate dauern, bis auch Chinas Gesund­heits­sys­tem keine Überlas­tung mehr bei einem Aufhe­ben der Corona-Maßnah­men droht.

Also kommt bald eine Erholung in China?

Es gibt Licht­bli­cke. Die niedri­ge Infla­ti­on eröff­net der Noten­bank die Möglich­keit, die Zinsen zu senken. Das ist auch für Inves­to­ren inter­es­sant. Durati­on ist dort eine Chance und kein Risiko. Zudem ist das Kredit­wachs­tum wieder positiv. Das war bislang in China meist ein Indiz dafür, dass auch die Aktien­märk­te kurz vor einer Wende stehen.

Auch im Rest der Welt?

Insge­samt sind wir für Aktien neutral. Denn die Gewinn­ent­wick­lung vieler Unter­neh­men ist noch stabil. Viele Unter­neh­men können höhere Preise durch­set­zen. Aber man sollte sich stärker Value- und Dividen­den­ti­teln zuwen­den. Denn wenn man Dividen­den­ak­ti­en wie eine Anlei­he betrach­tet, sind sie wie eine Anlei­he mit hohem Kupon – also ein Papier mit kurzer Durati­on. Wachs­tums­wer­te ohne Ausschüt­tun­gen sind dagegen wie ein Zero-Bond. Denn deren Gewin­ne liegen weit in der Zukunft. Sie werden bei höheren Zinsen weniger Wert. Deshalb gab es auch den Absturz an der Nasdaq. Mehr als 50 Prozent des Marktes hat über 50 Prozent vom Hoch verlo­ren. Dennoch hat sich die Lücke zwischen Value und Growth noch lange nicht geschlos­sen. Aber in den kommen­den Jahren dürfte sie sich weiter schlie­ßen, was für Inves­to­ren eine Chance auch in unruhi­gen Zeiten ist.

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